Interviews

Darum ist die Ägyptologie auch heute noch so beliebt

Von Tom | 1. Mai 2020


Die aktuelle Ausstellung rund um die Schätze des Tutanchamuns hat weltweites Interesse erregt und unsere Begeisterung am Leben der Pharaonen wieder neu entflammt. Aber warum sind wir eigentlich immer noch so fasziniert von den alten Ägyptern? Wir haben unseren Experten für antike Kunst und Archäologie, Peter Reynaers, gebeten, uns bei der Beantwortung dieser Frage zu helfen.


Die große zweijährige Wanderausstellung „Treasures of the Golden Pharaoh" wurde zum hundertsten Jahrestag der Entdeckung durch den Archäologen Howard Carter im Jahr 1922 veranstaltet. Also Peter, warum war die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun so ein bedeutender Moment in der archäologischen Geschichte?

 

Peter: Einer der vielen Gründe, warum die Entdeckung so wichtig war, liegt darin, dass das Grab weitgehend intakt war. Howard Carter war sehr gründlich und sorgte damals dafür, dass alle Fundstücke umfassend dokumentiert wurden. So inventarisierte er die gesamte Grabstelle, von der goldenen Maske bis zu den Getreide gefüllten Körben und allen weiteren Grabbeigaben. Bis dato kannte man Tutanchamun nur von kleineren Gegenständen, aber als Carter das Grab öffnete, sorgte er dafür, dass dieser alte Pharao quasi auferstanden ist.


Gab es etwas Bedeutsames an König Tut, das spezielles Interesse auf sich zog?

 

Peter: Tutanchamun war der Sohn des so genannten „Ketzerpharao“ Echnaton und seine Nachfolger versuchten ihn aus der Geschichtsschreibung auszulöschen. Alle Statuen und anderen Kunstwerke Tutanchamuns in den Tempeln sowie alle Texte, die auf Tempelwände geschrieben wurden und seinen Namen trugen, waren von seinen Nachfolgern anderweitig verwendet oder entfernt worden. 


Der Grund dafür lag im Glaubenssystem, das er während seiner Herrschaft wieder eingeführt hat. Tutanchamun machte jede Änderung seines Vaters rückgängig und kehrte zu den alten Göttern des Reiches zurück, mit Amun als wichtigstem von ihnen, und setzte zudem das Amt des Hohepriester des Amun wieder ein. Dies war ganz entgegen der Vorstellungen seiner Nachfolger. Diese wollten aus einer Linie großer Könige stammend angesehen werden, die vor dieser Periode herrschten, und tilgten die Erinnerungen an ihn. Dieser Vorgang ist heute als das „Amarna-Intermezzo" bekannt. 



Mit der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun flammte das Interesse an der alten Kultur wieder auf


Das Interesse an der Ägyptologie hat in den letzten Jahren wieder stark zugenommen. Was meinst du, warum das so ist?


Peter: Ägypten hat die Menschen schon immer fasziniert. Abgesehen von der Architektur, wie den Pyramiden und Tempeln, steht die Geschichte des Landes auch im biblischen Kontext. Diese ist eng verbunden mit dem israelischen Volk und wird natürlich auch durchgehend in der Bibel erwähnt. Die Kunst und die Riten der alten Ägypter zeichnen sich durch alle Epochen von einer gewissen Mystik aus - von den alten Griechen bis zum Mittelalter. Das alles ist sehr faszinierend. Aber in der Ägyptologie als wissenschaftliche Disziplin ging es erst im 19. Jahrhundert so richtig los. Vor allem nachdem sich einst ein Franzose namens Jean Français Champollion, gemeinsam mit einer von Napoleon zusammengestellten Gruppe von Wissenschaftlern, nach Ägypten aufmachte und die ersten korrekten Übersetzungen der altägyptischen Sprache anfertigte.  


Ich würde zwar sagen, dass das Interesse am alten Ägypten nie aufgehört hat, aber die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun und die Aussicht auf weitere Grabkammern haben dazu beigetragen, die Faszination neu zu beleben. Da wäre zum Beispiel eine Ausgrabung im April 2020, bei der in einem anderen Grab ein sehr ungewöhnlicher, kleiner Holzobelisk gefunden wurde. Wir hätten nie gedacht, dass wir jemals einen solchen Gegenstand in einem Grab finden würden. So erstaunen uns die Menschen der Antike immer noch jeden Tag aufs Neue. 


Warum hältst du es für so wichtig, dass wir uns weiterhin mit den alten Ägyptern und anderen alten Kulturen beschäftigen?

 


Peter: Da möchte ich meinen Universitätsprofessor für altgriechische Geschichte zitieren, Herman Verdin: „Alte Kulturen zu studieren, bedeutet nicht, dass man diese alten Völker verehrt, noch ihre Schriften, noch ihre Kunst, noch ihre Gefühle. Wichtig ist zu sehen, wie sie die Welt sahen, wie sie mit der Existenz umgingen und wie sie auf die Natur oder eine Krise reagierten. Nicht, um sie blind zu kopieren, als ob sie die Dinge besser machen würden, sondern um zu verstehen, wie sie Entscheidungen und Fehler gemacht haben und wie man diese in unserer Zeit nicht wiederholt bzw. bessere Entscheidungen treffen könnte.“


Ist dir aufgefallen, dass bestimmte Gebiete innerhalb der Ägyptologie besonders populär sind? Das Volk selbst, Architektur, Werkzeuge usw.?


Peter: Auf jeden Fall. Als ich begann, antike Kunst zu studieren, galt mein Hauptinteresse der Zeitlinie und der Art und Weise, wie die Mächtigen ihre Welt gestalteten. Heutzutage steht viel mehr das Leben des einfachen Volkes, das der Motor einer Kultur ist, im Mittelpunkt des Interesses. 


Wir haben herausgefunden, dass die Arbeiter, die die Pyramiden und Gräber bauten und die man früher für Sklaven hielt, in Wirklichkeit offizielle Titel erhielten, die sie als Männer des Kunsthandwerks bezeichneten. Das wird dadurch bewiesen, dass die Gräber in der Nähe alter Dorfsiedlungen gebaut wurden und die Toten immer mit größtem Respekt bestattet wurden. 



Die Art und Weise, wie wir heute archäologische Daten betrachten, spiegelt einen Wandel in unserer Wahrnehmung, wer zu jener Zeit wichtig war, nämlich die arbeitende Bevölkerung.


Natürlich ist das viele Gold und die Schönheit der Masken, die wir in der altägyptischen Kunst finden, für die Menschen anfangs am spannendsten. Aber die arbeitenden Menschen rücken in den Mittelpunkt, dank der Art und Weise, wie wir heute archäologische Daten betrachten.


Letzte Frage. Was begeistert dich so sehr an der Ägyptologie?

 


Peter: Das Rätsel! Wie viel man auch über diese alte Kultur lernt, es ist immer das mystische Rätsel, das einen in den Bann zieht. Zum Beispiel die Ushebtis von einem Mann namens Pakharu. Sie wurden 1891 in einem Grab entdeckt, in dem die meisten wichtigen Mitglieder des Hoherpriester des Amun (des wichtigsten Gottes des alten Ägyptens) in Theben begraben waren. 


Diese winzigen Statuen sind bei Sammlern sehr beliebt, obwohl über ihre Geschichte eher wenig bekannt ist


Pakharus Statuetten sind klein, aber aus strahlend blauer Keramik, einer weiteren Erfindung der Antike und Vorläufer des Glases, gefertigt. Pakharu war der Sohn eines Hohepriesters von Karnak, der später ebenfalls ein bedeutender Priester werden sollte und für das so genannte „Himmelstor", den Innenhof des Tempels von Karnak, verantwortlich war. Und es heißt, wenn man ein Ushebti in den Händen hält, bekommt man die Eingebung, dass man ihn in seinen goldenen und blauen Tempel begleitet und dem Gott Amun, der lebendigen und blühenden antiken Welt, die Ehre erweist. Es gibt immer eine Geschichte- das ist es, was ich liebe.  


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